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Von Lumière zu Youtube: Zur Verwandtschaft von Frühem Film und Webfilm

23. Mai 2008

Wenn Menschen öffentlich über Webvideos (Youtube, Dailymotion, Clipfish, etc.) reden, ist Fassungslosigkeit die beliebteste Haltung: „Und da schauen sich zehn Millionen Menschen an, wie so zwei Otter Händchen halten.“ Obwohl sie also als Schund gelten, wollen vor allem Werbeagenturen und Markenunternehmen wissen, wie man den Erfolg von Webvideos besser kontrollieren und antizipieren kann, wie man sie „viral“ machen kann. Die frühe Filmgeschichte hat dazu einige spannende Antworten…

Im Rahmen meiner Doktorarbeit zu User-Generated Content/Social Media untersuche ich unter anderem die Verwandtschaft von frühem Film und Webfilm. Eines der Probleme bei der Klassifikation von Filmen im Youtube-Universum ist, dass die gängigen Genre-Labels, wie sie z.B. auch die Internet Movie Database verwendet, hier nur eingeschränkt anwendbar sind. Eine meiner Beobachtungen (u.a. aus dem Auswerten der Filme in der Viral Video Chart und durch Gespräche mit Thomas Ballhausen vom Filmarchiv Austria) ist, dass früher Film und Webfilm einige Verwandschaften aufweisen: Etwa stellt die scheinbar mangelnde technische Qualität in beiden Fällen keine Behinderung für die Affizierung des Zuschauers mit dem Gesehenen dar.

Auch auf der Genre-Ebene gibt es Verwandschaften: Viele heutige Webfilme betonen die besonderen körperlichen Fähigkeiten einer Person (z.B. Daft Hands , dessen Fortführung Daft Bodies oder Guys Backflip into Jeans) – auf besondere körperliche Fähigkeiten fokussierten auch frühe Filme, insbesondere die den Varieténummern verwandten wie z.B. Edisons Sandow the Strong Man. Den frühen Trickfilmen eines George Méliès, wie z.B. Le Mélomane, entsprechen die heutigen Animationen und visuellen Attraktionen, welche keineswegs immer höchstes technisches Geschütz auffahren – gerade ‚analoges‘ Appeal, welches wiederum die besondere Kunstfertigkeit und Kreativität des Schöpfers hervorhebt, begünstigt virale Verbreitung (vgl. How to kill a chocolate bunny, Human Tetris oder MUTO – a wall-painted animation).

Auch das Nachrichtenkonzept der ‚Aktualitäten‘ genannten frühen Filme ist dem einiger Webfilme bekannt: ‚Breaking news‘ konnten anno 1900 schon aus technischen Gründen nicht im bewegten Bild gezeigt werden, stattdessen interessierte exotisches Geschehen auf dem Erdenball (z.B. Pathés Kremlin Clad in Snow). Obwohl die techischen Begrenzungen in dieser Hinsicht heute aufgehoben sind, entdecken wir Verwandtschaften in globalen Exotika z.B. Battle at Kruger, ein Film, der seit Monaten immer wieder die Viral Video Charts erklimmt, je nachdem, in welcher Mikronische er gerade Popularität erlangt, oder Intersection in Hanoi, Vietnam.

Ein eigenes, webspezifisches Format stellen sogenannte Meme dar, die – wie der Dramatic Chipmunk/Prairie Dog – selbst Elemente der Mediengeschichte ‚verdauen‘ und in neue Zusammenhänge stellen. Die Kritik und Analyse liefert das Web gleich mit – etwa mit Rocketbooms „Know your Meme“ Serie, die sich natürlich auch des Chipmunks näher annahm.

Hinzukommen eine Vielzahl von Internet Celebrity Filmen, bei denen sich herausstellt, dass eine starke Marke selbst ein Akteur in einem viralen Film sein kann (vgl. z.B. Internet Party oder Google Maps).

Der Nachteil dieser Anwendung filmwissenschaftlicher Kategorien: Sie sind eben wissenschaftliche Begriffe und damit nicht allgemein verständlich – im Gegensatz zu von Usern vergebenen Tags, die z.B. die eingangs erwähnten Otter fast schon im Sinne einer Inhaltsanalyse der Kategorie ‚Animals‘ zugeordnet und mit den Tags ‚otters‘ und ‚cute‘ versehen haben. Zur Klassifikation können im Sinne eines nachhaltigen Knowledge Managements nur Begriffe verwendet werden, die auch aus Userperspektive Sinn machen – spannend wäre es natürlich, einmal eine Gruppe von Filmwissenschaftlern eine Folksonomy von Youtubefilmen erstellen zu lassen.

Interessenten an einem solchen Projekten dürfen sich bei mir melden:
herwig punkt jana ätt gmail dot com.
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Wie dieser Text entstand:
Eine Email-Konversation mit Björn Bohnenkamp hat dazu geführt, dass ich einen Teilbereich dessen, an dem ich gerade arbeite, in einem Abstract zusammengefasst habe. Björn ist sowohl Diplom-Kaufmann als auch Theater-, Film- und Fernsehwissenschaftler und lässt Studierende zusammen mit Thorsten Hennig-Thurau im Rahmen des Seminars „Erfolgsfaktorenmodellierung von Internet-Angeboten: Das Beispiel YouTube“ gerade Youtube-Videos klassifizieren. Teil meiner These ist, dass sich Youtube-Videos mit den klassischen Genre-Kategorien nur schwierig erfassen lassen und daher habe ich ihm obige Gedanken einmal in der Urform geschickt.

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