Von #unibrennt bis #omasgegenrechts – was hat sich geändert?
Gestern war ich zu Gast im Studio von Ö1, um vor dem Hintergrund der jüngsten Demonstration in der Sendung Punkt eins mit Xaver Forthuber und dem Staatswissenschafter Martin Dolezal zu diskutieren über Protest! Österreich auf der Straße. Medienwissenschaftlich habe ich mich zuletzt in den Jahren 2009-2012 mit der hiesigen Protestkultur auseinandergesetzt (u.a. hier, hier, hier oder hier). Die Einladung war für mich ein willkommener Anlass, um darüber zudenken, was sich seither geändert hat im Umgang mit sozialen Medien in der hiesigen Protestkultur.
Was hat sich von 2009 bis 2018 in diesem Feld geändert? Funktionieren die jüngeren Proteste und Demonstrationen in Österreich ähnlich wie #unibrennt? Gibt es Bruchlinien oder Weiterentwicklungen? Und warum stelle ich diese Fragen ausgerechnet jetzt?
Von Medien und Mobilisierungen
Grundsätzlich gilt: Jede Protest- oder Mobilisierungs-Generation benutzt ihren je ganz eigenen Mix an Medienformen. In einer sich stets wandelnden Medienkultur ist das wenig überraschend. Dem jeweils jüngsten Medium wird dabei oft eine besondere Wirkmacht zugeschrieben. Zum Beispiel Fernsehen: 1960 wurde in den USA die Live-Politdebatte als neues TV-Format eingeführt – John F. Kennedys überlegene Bildschirm-Performance gilt mit als Grund für seinen Sieg über den weniger telegenen Richard Nixon. In vergleichbarer Weise fiel Barack Obamas Wahlkampf 2008 zusammen mit dem Durchbruch von Social Media als alle Sphären durchdringendes Kommunikationsmedium und wird als beispiellose Social-Media-Kampagne erinnert.
Medien und Mobilisierung in Österreich
Auch in Österreich hat sich in der Vergangenheit eine solche Verknüpfung von Mobilisierungserfolg und Medieninnovation beobachten lassen: Der Twitter-Hashtag #unibrennt wurde symbolisch für die in Wien begonnenen Studierendenproteste in den Jahren 2009/10, als in so noch nicht da gewesener Weise Web 2.0 und Social Media zur Protestorganisation eingesetzt wurden.
Die Wiederkehr der Großdemos (?)
Der große Anlass, sich mit dieser Frage zu beschäftigen, ist natürlich die Wiederkehr der Großdemonstrationen in Österreich, als die das vergangene Wochenende womöglich gewertet werden kann: 20.000 (krone.at) bis 70.000 (Veranstalter) Menschen protestierten in Wien gegen die türkis-blaue Regierung. Damit ist diese Demonstration zu groß, um sie als Randgruppenmanifestation kleinzureden aufzufassen, und ihr Anliegen breit genug, um auf ebenso breite Sympathien zu stoßen.
Denn um Protest gegen Einschnitte im Sozialsystem und gegen Schwächung von Gewerkschaften und Arbeiterkammer ging es den Veranstaltern. Eben das hatte diese Demo #gegenschwarzblau mit anderen wie #unibrennt oder auch #occupywallstreet gemeinsam: Soziale Gerechtigkeit und breiter Zugang zu Bildung sind Anliegen, die bei jedem positive Resonanz erzeugen sollten, dem ein humanistisches Weltbild etwas bedeutet.
Der Protest und seine Erforschung
Martin Dolezal von der Uni Wien (bald IHS) leitet ein laufendes Forschungsprojekt zur österreichischen Protestarena im 21. Jahrhundert, das sich explizit Formen der „unkonventionellen Partizipation“ widmen will. Diese wird begriffen als Gegensatz zur konventionellen, d.h. staatlich kontrollierten Partizipation, wie sie beispielsweise Wahlen darstellen. Denn, so Dolezal:
„Politischer Protest – das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung – ist ein relevanter Aspekt der Demokratie. Doch leider erfährt diese Art der unkonventionellen Partizipation nicht immer die entsprechende wissenschaftliche Würdigung“.
Aus medienwissenschaftlicher Perspektive beschäftige ich mich weniger mit den Protestierenden, als mit den Medien, die sie verwenden und Produzieren. Die mediale Organisation und Ästhetik von vernetzten Protesten sowie der Diskurs über diese Medien sind mein Gegenstand. Zu Dolezals Einschätzung würde ich entsprechend in McLuhanscher Diktion ergänzen wollen:
The (new) medium is the message!
Oder auch: Wenn politische Proteste sich gesellschaftlich wirksame Medieninnovationen zunutze machen, können sie zusätzlich profitieren von der Aufmerksamkeit, die der Medieninnovation selbst gerade zuteil wird.
Barack Obamas Wahlkampf war u.a. auch deswegen so elektrisierend, weil er es erlaubte, eine Medieninnovation erstmals in dieser Form in Aktion zu beobachten. Ihr erinnert euch an die Yes We Can-Videos, die Polit- und Popkultur ebenso zusammenbrachten, wie sie dann beim Teilen im Facebook-Stream aufeinander trafen? Gänsehaut.
Die wissenschaftliche Auseinandersetzung folgte auf dem Fuße: Wie ein kurzer Check bei Google Scholar zeigt, sind mit dem Stichwort „Obama Campaign“ vor allem solche Artikel verknüpft, die sich zugleich auch der Medieninnovation Social Media widmen. Das ist wenig überraschend: Die Wissenschaft der Mediengesellschaft würdigt gesellschaftliche Mobilisierung vor allem dann, wenn diese mediatisiert erfolgt.
Besonders hervorzuheben an #unibrennt ist, dass man auch die wissenschaftliche Würdigung gleich selbst mit anstieß. Der Band Uni brennt. Grundsätzliches – Kritisches – Atmosphärisches wurde von den Master- und Doktoratstudierenden Stefan Heissenberger, Viola Mark, Susanne Schramm, Peter Sniesko und Rahel Sophia Süß selbst herausgegeben (Turia + Kant 2010). Gemeinsam mit Viola und Max Kossatz trug ich damals einen Beitrag zur Verwendung von Web und Social Media bei.
#unibrennt als Medieninnovation
Wie sah es aber aus mit der Wahrnehmungvon #unibrennt außerhalb der Wissenschaft? War man auch hier elektrisiert? Auf alle Fälle auf Seiten der Beteiligten. Die Frage, wer bei einem vernetzten Protest aller beteiligt ist, ist freilich nicht trivial.
Die Vorstellung von Protest ist für viele mit dem Konzept der 1968er verbunden: Protest ist es dann, wenn es auf der Straße (bzw. im physischen Raum) statt findet. Über Social Media entfaltet sich allerdings eine Dynamik der Anteilnahme in Schichten, die für #unibrennt zum Beispiel wie folgt beschrieben werden könnte:
- Plenum im Audimax: Teilhabe vor Ort.
- Livestream des Plenums: visuell-auditive Teilhabe
- Tweets über #unibrennt: Teilhabe durch Lesen UND durch Kommentieren
Selbst wenn diejenigen, die zuschauen, lesen und kommentieren sich selbst nicht als Protestierende identifizieren: Teilhabe ist in erkennbar anderer Form möglich als bei der Lektüre eines Zeitungsartikels oder eines TV-Berichts.
Der #unibrennt-Livestream wurde zeitweise von über 3000 Personen gleichzeitig geschaut und verzeichnete anfangs über 140.000 Zugriffe in vier Tagen. Live, in Echtzeit, authentisch statt gescripted, in dieser Form experimentell – alles Aspekte, die elektrisierten. Indem die Protestierenden selbst für ihre mediale Übertragung sorgten, boten sie Zuschauenden die Möglichkeit, ein Bild zu machen – statt sich allein auf die etablierten Medien verlassen zu müssen. Und das war aus einem bestimmten Grund sehr wichtig.
#unibrennt und der Alte-Medien-Reflex
Wo immer sich Medieninnovationen zeigen, ist auch die kulturpessimistische Reaktion nicht weit. Neue Medien stehen immer im Verdacht, die Sinne zu überfordern, kritische Distanz zu eliminieren und Auseinandersetzung zu unterbinden. Das galt für den Roman am Ende des 18. Jahrhunderts ebenso wie für den Film am Ende des 19. oder das Fernsehen in der Mitte des 20. Jahrhunderts. Was die eine, gerade entstehende Mediengeneration als elektrisierend empfindet, ist für die vorige ein Angriff auf die Sinne. Und das provoziert Abwehrhaltungen.
Typisch für diesen Diskurs empfahl damals etwa Michael Fleischhacker den Protestierenden „Logik statt Twitter„. Im Audimax der Uni Wien ortete er entsprechend eine „Mischung aus Flashmob-Party und Voodoo-Ideologie“. Ebenso diskurstypisch führte er ein etwas älteres gegenüber dem neuen Medium ins Felde. „Vielleicht wäre es schlauer, per SMS eine Logikvorlesung zu organisieren, als Uraltparolen zu twittern.“
Man könnte hier eine Regel postulieren. Das jeweils ältere Medium erscheint immer als das der Vernunft zuträglichere. So, wie heute manche Eltern am traditionellen Fernsehen loben, dass es eben immer nur zu einer bestimmten Uhrzeit das Sandmännchen abspiele. Aus dem Kinderseelenfresser der 1970er ist auf einmal ein gutmütiger Ritualgeber geworden.
Und wie sieht es im Jahr 2018 aus? Elektrisieren oder provozieren die neuen Medien immer noch?
Die Medieninnovation ist Alltag geworden
Im Großen und Ganzen hat sich Gewöhnung eingestellt. Es ist zum Beispiel keine eigene Meldung mehr wert, wenn sich ein Politiker auf Twitter begibt. Gerade im Jahr 2009 meldeten sich auch die erste Welle bereits aus der traditionellen Mediensphäre bekannter Personen auf Twitter an.
Armin Wolf und Euke Frank (Februar 2009). Martin Thür und Martin Blumenau (März 2009). Corinna Milborn und Hanno Settele (April 2009). Ingrid Thurnher (September 2009). Und während Robert Misik sich schon Mai 2008 anmeldete, gab Michael Fleischhacker erst im September 2013 nach.
Wie zuvor #unibrennt nutzte auch die Großdemonstration #gegenschwarzblau soziale Medien zur Organisation und Kommunikation – nun aber ganz selbstverständlich und ohne Irritation durch das Medium selbst.
Livestreams? Sind längst Alltag und auch mobil geworden. WienTV.org übertrug live von der Mariahilfestraße und wurde allein 26.000 mal aufgerufen. Auch traditionelle Medien, soweit diese Einordnung für einzelne Sparten noch stimmt, posten zeitnah Video-Berichte, etwa derStandard auf YouTube (knapp 12.000 Views).
Und natürlich posteten die Protestierenden vor Ort immer wieder Eindrücke des Geschehens, in Text, Bild und Echtzeit-Video. Wittert hier jemand Flashmob-Party, Voodoo gar? Keine Spur. Auch die Bedenken, ob man überhaupt gefilmt werden will, scheinen geringer geworden zu sein.
Protest plus Medienkompetenz
Und damit hat sich also doch einiges verändert. Nicht im Sinne einer weiteren, disruptiven Innovation, sondern mit Blick auf den Umgang der TeilnehmerInnen mit den nicht mehr ganz so neuen Medien. Man ist medienkompetenter, man ist sich der Mediatisierung bewusster geworden – und ebenso ihres Potenzials.
Etwa hat sich das Bewusstsein erhöht, dass man selbst Berichterstattung leistet und leisten will. Ein Beispiel: User @overratedsamuel postet ein Bild von seinem Lieblingsschild, versehen mit einem Herzchen-Sticker.
https://twitter.com/overratedsamuel/status/952172571285442560Etwas später reicht er dasselbe Bild noch einmal nach, diesmal ohne Herzchen und mit dem Kommentar: „Hier nochmal ohne Sticker, falls das Bild jemand verwenden will.“ In der Tat hat sich in der Zwischenzeit ein eigenes Berichterstattungsgenre entwickelt. Best of Demoschilder, besonders beliebt im Social Web. 21 Schilder, die sich nur Hamburger ausdenken können, sammelte man etwa bei Buzzfeed,.Ähnliche Zusammenstellungen ergänzten auch die Berichterstattung konventioneller(er) Medien. In eine solche Sammlung mit dem eigenen Foto (oder Schild) hineinzukommen, könnte mittlerweile ein (Neben-)Ziel geworden sein.
Eine crossmediale, globale Medien/Protestkultur
Im englischsprachigen Raum ist dieses Genre bereits etablierter. Fotostrecken mit Titel wie „The Best Protest Signs From the Women’s March on Washington“ waren im Januar 2017 auf zahlreichen Media Outlets zu sehen. Und das von Tabloid bis Intellectual: Etwa auf Glamour.com, Slate, Independent, USA Today und natürlich Buzzfeed und Co. Dabei ist es eine Genre auf zwei Ebenen: ein Protestgenre ebenso wie ein Genre der Berichterstattung.
Wessen Ästhetiken verbreiten sich hier global, die der Bürgerrechtsbewegung oder die der Medienkultur? Scharf von einander zu trennen sind diese nicht mehr. Überhaupt ist bemerkenswert, dass erfolgreiche Tweets und Plakate einiges gemeinsam haben – kurz, knackig, nicht mehr als zwei Botschaften pro Stück.
Plakative Protestformate sind entsprechend auch außerhalb von Demonstrationen schon länger zu beobachten gewesen. Nahezu klassische Beispiele sind die Protest-Selfies der Occupy-Wallstreet-Bewegung. Der direkte Blick in die Kamera und die handschriftliche Notiz sind die typischen Authentifizierungsstrategien dieses Protestformats.
Die Aufmerksamkeit, die einem dieser Beiträge zukommt, steht dabei in Zusammenhang mit den übrigen. Vor allem als Massenphänomen werden sie wahrgenommen – und je mehr witzige Plakate, um so eher bekommt eine Demonstration eine Fotostrecke.
Aufmerksamkeit dank Medienkompetenz
Was braucht ein Protest also, um Aufmerksamkeit zu bekommen? Eine der Anrufer gestern, Herr Bruni, wies darauf hin, dass traditionelle Medien erst dann berichten würden, wenn es zu Gewalteskalationen bei Demonstrationen käme. Der schwarze Block (ein monolithischer Name für etwas, das sich personell immer anders zusammensetzt), der einerseits den Ruf hat, alle Protestierenden pauschal als linke Bombenleger zu diskreditieren, garantiert andererseits Aufmerksamkeit?
Eine Untergruppe bei #gegenschwarzblau lässt sich hier als Gegenbeispiel, geradezu als Antithese beschreiben. Denn in den letzten beiden Monaten haben sich in Österreich die „Omas gegen Rechts“ formiert. Die Omas organisieren sich auf Facebook (Mediengeneration sind nicht zwingend Alterseinteilungen) und verteilen heißbegehrte Buttons. Bei Demonstrationen werden sie besonders gern fotografiert und bekamen eine eigene Fotostrecke bei Vice. Sie tragen den Pussyhats ähnliche Hauben, aber in ‚omahaft‘. Sie sind eine Omabewegung, aber mit Opas, denn schließlich geht die Lage alle an.
What’s not to like about the Omas? Wenig, wie Twitter-Userin @GertrudeFriese kompakt zusammenfasste.
Ein anderes Detail berichtete @matahari_etc, denn die Omas und der schwarze Block scheinen sich gut zu ergänzen:
Vom Einüben zur Professionalität
Das scheint mir also die bemerkenswerteste Verschiebung zu sein. Während zu Zeiten von #unibrennt noch das Einüben des individuellen wie gemeinschaftlichen wie gesellschaftlichen Umgangs mit den neuen Medien im Vordergrund stand, sind viele nun Medienprofis im Alltag geworden.
Die Amateur-Debatte, die schon vor zehn Jahren mit altväterlichem Mief daher kam, hat sich erledigt. Social Media-UserInnen sind keine Amateure, aus denen vielleicht einmal JournalistInnen werden. Vielmehr sind die medienkompetente KommunikationsmanagerInnen für ihren Alltag und ihre politischen Anliegen geworden – in their own right.
Das heißt natürlich nicht, dass jeder und jede Facebook-userIn automatisch ein solcher Profi des Alltags ist. Für Protestbewegungen, ihre Organisation und insbesondere ihre Wahrnehmung von außen spielen diese KommunikationsmanagerInnen jedoch eine ganz besondere Rolle – und wie die Omas gegen Rechts zeigen, sind es bei weitem nicht nur die Digital natives, die hier tragende Rollen spielen.
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