Zum Inhalt springen

KundenbindunG+

22. August 2011

Google+, eh?

Seit Anfang Juli gibt es plus.google.com, Googles vermeintlicher Versuch, Social Networking zu meistern und an Land zu ziehen. Anfang August waren es schon mehr als 25 Millionen User, die G+ usen. Ich bin auch auf G+, doch von einem Benutzen kann ich nicht sprechen. Warum? Weil in meinem Stream einfach nichts passiert. Michael Kamleitner (@_subnet) hat eine Statistik getweetet, die mir aufgrund meiner persönlichen Erfahrung sehr plausibel erscheint: Von 10 Millionen befragten Usern nutzen 83 % diese Plattform nicht. (Die Statistik kommt von einer Firma namens Bime Analytics, mir unbekannt, und ist als unbestätigte und geprüfte Statistik mit Vorsicht zu genießen. Als Richtingsindiz allerdings brauchbar.)

Das wichtigste Feature bei Social Network Revolutionen von Friendster bis Facebook

Ich könnte jetzt Bände schreiben, wieso G+ in der derzeitigen Form nicht so richtig funktioniert. Als Nutzer von Friendster, Myspace und Facebook sind mir schon viele Social Networking Sites über den Weg gelaufen. Auch Orkut, was mir aber nicht geheuer war und nichts bahnbrechend neues zu bieten hatte im Vergleich zu Myspace.

Ein wichtiges Feature in all diesen Social Network Revolutionen: Mit jedem neuen Social Network gab es immer einen Grund, weshalb man vom bisher genutzten migrieren wollte. Friendster hatte das Problem, nicht mehr als 500 „Freunde“ zu erlauben. Das war für mich zwar kein grobes Problem, aber für viele andere. Vor allem für Bands. Dann kam Myspace. Alle gingen zu Myspace. Die Bulletins funktionierten super, das posten ins Profil (auch gifs), das Messaging – ich habe Myspace sehr gern genutzt, meine Handykosten gingen rapide talwärts. Ich hatte den Großteil meiner Kommunikation mit meinen FreundInnen auf Myspace abgewickelt.

Dann kam da plötzlich Facebook. FB  war „erwachsener“ als Myspace. Das war der unique selling point. Weiters hatte man das Gefühl, dass jeder es nutzte und man sich wirklich mit jedem, der einen im Leben so über den Weg läuft oder in den vergangenen 20 Jahren über den Weg gelaufen ist, vernetzten konnte. Man lernte nebenbei Menschen kennen, die man vielleicht vom sehen kannte, aber die über die Statusmeldungen gemeinsamer Freunde ebenfalls Dinge von sich gaben. „Hey, der Typ hat recht, diese Seite kannte ich von ihm gar nicht“. Und so lernte man sich indirekt aber direkt auch kennen. Das, finde ich, ist ein schöner Aspekt und stellt nach wie vor die Grundidee für *das Internet* dar.

Googles Vorwand eines Social Networks

Google+ hat sowas nicht. Und es kam auch nicht von unten, kein word-of-mouth. Der Konzern gab über dieses neue Ding Bescheid. Alle Social Network Revolutions kamen traditionell von unten nach oben, Ideen von Individuen, die bessere Ideen hatten als den Status Quo. Circles sind nur ein besseres UI für Listen auf Facebook, that’s it. Es gab immer einen Grund, weshalb das neue Netzwerk besser ist, als das vorige. Doch G+ ist ein mieseres Facebook, ein zu klobiges Twitter und höchstens ein besseres Waves.

Google Plus ist mehr wie ein Vorwand eines Social Networks, eine Kundenbindungsmaßnahme um an mehr Userdaten zu kommen. Google ist ein Konzern mit einem Umsatz von US $ 29 Milliarden Dollar im Jahr 2010. Eine Suchmaschine die in den letzten Jahren alles anbieten möchte, was es auf diesem www gibt oder geben muss. Google möchte, und das ist ja kein Geheimnis, zum One-Stop-Shop werden, eine Website, die der User nie verlässt. Search, Kalender, E-Mail, Textverarbeitung, Chat, Bloggen, Ads, Landkarten, Browser. Alles sehr praktisch. Vor allem die Ads. Denn Google muss Geld generien, klar.

Die Ads sind der cleverste Teil in Googles Unternehmen, denn sie sind im Search sichtbar. Sie werden dem User zugeschnitten zugestellt, indem Google das Userprofil nach einem Muster im Such- und Surfverhalten prüft. Und die E-Mails auch gleich. Und das war mir an Gmail schon immer unsympathisch. Ich benutze Gmail deshalb auch nicht und werde dafür belächelt. Soll sein. Ich unterschreibe nur ungern Blanko-TOS, in denen ich die Zustimmung zum scannen meiner E-Mails gebe. It’s a choice.

Googles Kerngeschäft ist das Sammeln von Daten. Und Patenten. Google möchte ins Hardware-Business gehen, eh klar. Zu glauben, dass Google aus Nettigkeit ein Social Network aufziehen will, um dir und mir das Leben einfacher zu machen, uns zusammen führen mag (awww), ist hellblauäugig.

Kronzeuge Location Services

Ich habe immer wieder gehört, dass G+ viel besser als FB ist, denn es gibt dort keine Firmenpages wie auf FB, keine Check-Ins. Reden wir in einem halben Jahr nochmal drüber. Denn wieso darf man die G+ iPhone-App nur dann installieren, wenn man ohne Opt-Out die Location Services akzeptieren muss? Bei FB und Twitter kann ich das ausschalten, und das ist eine gute Sache. Denn ich nutze eine Kommunikationsplattform, um zu kommunizieren, nicht um von meinem Aufenthaltsort Auskunft zu geben. Bei Foursquare ist es eine bewusste Entscheidung, Foursquare ist dazu da. FB und G+ nicht. Auch nicht mein E-Mail-Programm. FB würde wahrscheinlich gerne wissen, welche Restaurants ich besuche, denn das sind wichtige Infos für potentielle Kunden. Kann ich nachvollziehen, will ich aber nicht erlauben. Ich habe die Möglichkeit, dies selber zu entscheiden. G+ nimmt von vornherein diese Entscheidung. Gefällt dir das?

9 Kommentare leave one →
  1. 22. August 2011 6:41 pm

    Habe mir schon vor ein paar Wochen darüber Gedanken gemacht. Ich wage die Behauptung aufzustellen, dass die Tage von facebook gezählt sind. Freilich, Google kann sich noch immer ins Knie schießen. Und wer weiß, was die Zukunft in der realen Welt so mit sich bringt. Brennende Autos und wütende Mobs stehen ja bekanntlich nicht auf der Social Media Agenda.

    Über Trotteln und Trantüten oder Warum dich Facebook depressiv macht und Google+ dich befreit.

  2. 22. August 2011 7:46 pm

    Danke Jana für die treffende Analyse: ich bin auch drauf und mach auch wenig, aber ich hab einen ziemlich Social Medial abstinenten Sommer hinter mir (Urlaub in Zeiten von Social Media LOL) und bei deiner G Vorsicht bin ich voll dabei, ich verwende Gmail für 0,01 Prozent meines Mailverkehrs.

    Allerdings seh ich ned so wirklich einen Unterschied zu Facebook. G und FB sind beide große Datensammler (jeder auf seine Art) so wie es Medien schon immer waren – irgendwer muss ja dafür zahlen das wir da drin sind und mir ist es lieber es sind die Inserenten als ich bin es selbst.

    Ich glaub – anders als der Richard – dass Facebook aber noch seeehr alt wird.
    Aber durch G+ wird das was vorher „Facebook“ war nun zur Kategorie: „Globale webbasierte Soziale Netze der 2. Generation“ – Gen 1 war zB MySpace (ohne Mobil-Anbindung), noch ältere Soziale Netze (First Class zB oder andere BBSen) waren nicht webbasiert oder lokal.

    Daran das FB das ältere und größere „Kapital“ hat (die Menschen) und das diese sich *Nüsse* für Freundes-Kreise und Privacy-Themen interessieren (die Normales unter ihnen jedenfalls) wird Facebook auch noch lange helfen.

    Wenn’s denn aus sein sollte wird vermutlich nicht G+ dran Schuld sein, aber G+ wird seinen Platz in einer größeren Landschaft der Sozialen Netzwerke einnehmen und endlich wird man Kunden nicht mehr sagen können „Sie müssen auf Facebook!“ sondern wird sich wieder damit auseinandersetzen müssen wo die jeweilige Zielgruppe denn „wohnt“.

    Anno ich weiss nicht wann hat es ja auch geheissen „Wir müssen in der Zeitung inserieren“ oder „Wir müssen ins Fernsehen“ – damals als es nur eine solche oder nur ein bis zwei Kanäle gab 🙂 Und heut geht das auch nicht mehr.

    Normalisierung ist angesagt, und da hilft G+ schon.

    Im übrigen bin ich nicht der Meinung das Google zerschlagen werden müsste, aber die Zeit kann ja noch kommen. Wär’s eine deutsche oder ösinische Firma wär’s vermutlich schon verstaatlicht worden, sollte es nicht schon vorher zerschlagen und verboten gewesen worden sein.

  3. 23. August 2011 2:59 pm

    Ich finde auch, dass der Hellblauäugigkeitsvorwurf etwas zu weit geht. Es setzt sich ja niemand hin von den anderen social networks und behauptet, uns zusammenführen zu wollen ohne Rücksicht auf Umsatz. G+ ist abstrakt da nicht anders, dass sie in Anbetracht ihrere anderen Daten in dem Sinne „gefährlicher“ sind, hat ja damit nichts zu tun.

    Ich glaube, dass das größte Unterscheidungsmerkmal zwischen G+ und FB die Abschaffung der Bilateralität ist. Es ist eine Rückkehr zum Sender-Empfänger-Modell, zum Broadcasten. Ob die Weblandschaft, die durch die Bilaterilität von FBs Freundschaft-Metapher kommunikationsctechnisch übernommen wurde, dahin zurückfinden kann/will halte ich für fraglich.

    Und sprachlich haut’s ja so oder so nicht hin. Hab gestern einen Artikel „geplusst“ und daraufhin einen neuen „Google+-Nutzer“ entdeckt? Mit solche Alltagsstolpersteinen seh ich wenig Hoffnung, dass es so abhebt wie etwas, dass auf „Freund“ und „Gefallen“ fußt…

    P.S.: @Lena… it’s Daniel, not Jana. 😉

  4. 24. August 2011 10:35 am

    @marko: da geb ich dich dir sehr recht, du hast’s mit der bilateralität auf den punkt gebracht!

    ich hab ja plussen immer noch nicht verstanden. ist das das gleiche wie like? weil ich immer wieder gehört hab, dass das mit „sharen“ gleichzusetzen ist. aber das haben die dann falsch verstanden, oder?

    @lena: danke fürs lob : ) ich bin auch der meinung, dass facebook noch lange lange da sein wird.

    im übrigen bin ich vielleicht in 8 monaten so richtig der meinung, dass google zerschlagen werden muss. bis dann! ; )

  5. 25. August 2011 12:49 pm

    Und die Bilateralität Aufgabe der Bilateralität hat G+ nicht mal erfunden, sondern einfach von Twitter übernommen. Insofern könnte man sagen: Es ist eh kein Social Network, sondern ein Microblogging ohne Zeichenbegrenzung (also: ohne Mikro, aber auch nicht Bloggen im ‚alten‘ Sinne, da dieses die Following-Funktion nicht kannte) mit einer paar Facebook-Features (liken/plussen, andere UserInnen erwähnen).

    Liken ist, wenn ich nicht irre, erst sharen, seit Facebook via Social Graph die externen LIkes auch ins Social Network einspielt. Tut G+ das?

    Gestern abend hatte ich einen komischen Pseudoerkenntismoment in dem ich dachte, dass Twitter nicht zu retten ist – dass Facebook noch lange da sein wird, glaube ich aber auch nicht, sondern meine immer noch, dass wir bald alle unsere eigenen Diaspora-Dinger haben werden, auch wenn die dann nicht so heißen. Es muss nur mal einer einen Client bauen, mit dem du direkt einen Webserver auf dem deinem ans Netz angeschlossenen Rechner laufen lassen kannst, also einen Plug and Play-Webserver mit Client dran, und dann können auch die gerne imaginierten DAUs ihren eigenen Pod (oder wie auch immer das dann heißen wird) haben. Wenn Privacy und Kontrolle über die eigenen Daten so einfach zu haben ist, werden sich auch die, denen das angeblich Nüsse ist, dafür interessieren (sie interessieren sich eh dafür, aber Kontakt zu ihren FreundInenn ist ihnen wichtiger).

  6. 25. August 2011 1:45 pm

    @Jana: ich muss mich der Meinung anschliessen: für die breite Masse wird Privacy auch in den nächsten 15 Jahren nicht interessant sein.

    Diaspora & Co mögen ja für BürgerrechtlerInnen, AkademikerInnen und Nerds interessante Konzepte bieten, aber das jemandem zu verkaufen, der „nur“ kommunizioeren will ist das schwer zu verkaufen. Und warum sollte Otto Normaluser Interesse daran haben, einen eigenen „Server“ zu benutzen? Manchmal ist ja die Bedienung des Browsers schon zu viel verlangt – wie viele Leute verwenden denn zB überhaupt Bookmarks (ich kenn Leute, die sich nicht mal die Mühe machen Webadressen einzutippen, sondern grundsätzlich mal zu jeder Website „googlen“.

    Ich glaub zB dass die wenigsten jemals die Facebook- Listen verwendet haben, obwohl sei eigentlich nicht so schwer zu durchschauen sind.

    Mein Tipp also: Facebook gibt’s sicher noch länger, die restlichen Networks werden höchstens für diverse Nerd-, oder Special interest – Kreise interessant sein.

  7. 25. August 2011 8:05 pm

    The realcrazybird: nur ums kurz zu präzisieren: es gibt einen Unterschied zwischen sich für etwas interessieren und danach handeln. So, wie Privacy auf den grossen Networks gehandhabt wird ist es ein Missstand, die Listen sind eine nervtötende administrationsarbeit. Ich verwende Listen, aber ich hab bis heute nict alle meine ca 700 Freunde zugeordnet. Diaspora ist auch nicht nutzbar, wie es ist ,Aspekte sind letztlich auch nur Listen.

    Allerdings dürfen wir nicht den Status quo der interfacepolitik nehmen und denken, das waere alles, das geht. Und es wird sicher noch bessere Losungen für die privacyfrage geben, eine, die nicht nur von entschllosseneh idealistInnen genutztbwerden wird. Zu glauben, was anderes als Facebook et Al. Wäre nicht moegluch hiesse, seine imaginationskraft gleich den techmultis zu überschreiben.

  8. 25. August 2011 9:55 pm

    was facebook nach wie vor unschlagbar macht ist, dass es einfach so viele benutzen und es zum standard geworden ist. so wie google zum standard bei der suchmaschine geworden ist oder tixo der standard beim klebestreifen, bzw. scotch tape im englischen sprachraum, auch nix anderes als ein markenname. „jede/r“ ist auf facebook, oder totaler verweigerer von sozialen netzwerken. das ist so wie beim telefon, sowas haben auch „alle“, und deswegen werden telefone auch nie aussterben.

    was nicht heißt, dass ich FB als das nonplusultra halte oder fanboy bin, ich hoffe, das wird hier nicht falsch verstanden. ich finde auch janas idee/prognose vom pod/server-basierten ding eine, die in die richtige richtung geht. bei telefonen gibts ja auch verschiedene anbieter, telefonieren kann aber jeder mit jedem, egal welches – wait for it – network sie benutzen. vielleicht gehts aber eher dorthin: aggregatoren, die G+/FB/myspace vereinen. die 90er war das zeitalter des chats, und jetzt kann auch jeder mit jedem chatten, wurscht ob auf AIM, ICQ, MSN, Skype oder weißgottwas anderem. wenns irgendwann mal so viele verschiedene social networks da sind, und sich alles zerstreut, wird irgendwer daherkommen und alles auf einen schlag zusammenführen.

    ich schweife über die kristallkugel ab von der kernaussage „social networks ähnlich wie telefone, sollen für alle da sein, die streuung ist nicht die zukunft“.

  9. 25. August 2011 10:03 pm

    Beim Telefon ist wurscht, ob der Anschluss von UPC, orange, Telekom kommt – sowas brauchen wir auch im Web, wie auch immer die Architektur aussehen mag. Gegen den Netzwerkeffekt! (@dnlplus hab einen text, der noch ‚geheim‘ ist, schick ich dir per Mail – na gut, hier doch ein kleiner teaser, erscheint in der nächsten http://springerin.at :

    „Mei und Diaspora, das dezentrale Netzwerk, das den UserInnen die Kontrolle über ihre Daten zurückgeben will, bemühen sich um das, was [Jaron] Lanier als humanistische Praxis der Software-Entwicklung einfordert: einen Umgang mit Technologie, der sich in den Dienst der Entfaltung von Personen stellt, statt – wie Lanier es dem Web 2.0 attestiert – Personen in maximal ausbeutbare Fragmente zu zerteilen, aus denen sich erst in extremen Quantitäten wieder Aussagen extrahieren lassen. Je nun: Diaspora ist trotz stetem Lob noch immer eine Plattform, die nur von wenigen genutzt wird. Warum? Ihre ‚Freunde’ sind alle drüben auf Facebook, Twitter, Google+. Es greift der network effect, der den TeilnehmerInnen eines Netzwerks mit wachsender Größe immer bessere Vernetzungsmöglichkeiten gewährt. Dagegen sind die bessere Technologie, der humanistischere Ansatz schwache Argumente.“

Hinterlasse einen Kommentar