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Meinungskolumne: Ist das digitale Gen männlich?

15. März 2011

Dieser Beitrag erschien am 8. März 2011 – dem 100. Frauentag – in der Futurezone. Dort kann man ihn im Kontext, mit Bild und Zwischenüberschriften lesen.

Der Internationale Frauentag bietet jährlich Anlass, über die soziale Position von Frauen zu reflektieren – wie steht es dabei mit der digitalen Gesellschaft? Gibt es einen Zugang zur Gender & Technik-Debatte jenseits von Girls (und Boys) Day und lohnt sich die Suche nach dem digitalen Gen? Ein Kommentar von Jana Herwig.

Der 100. Internationale Frauentag wäre etwa eine Gelegenheit, sich an dieser Stelle mit den Frauen in der Geschichte von Computer, Internet und Web zu beschäftigen – erfreulicherweise sind solche Ressourcen im Jahr 2011 aber bereits in verschiedenen Ausführlichkeitsgraden online verfügbar. Man beginne z.B. mit der Aufarbeitung „Frauen – Informatik – Geschichte“ der Universität Bremen oder dem „Ada Project“ der Carnegie Mellon Universität.

Mit dem Umstand, dass die historischen Computerfrauen ihren Platz in der Geschichte längst zugestanden bekommen haben, ist in der Gegenwart aber noch nicht viel gewonnen: Im breiten Strom der Nachrichten, mit denen sich die IT-Industrie um sich selbst dreht, spielen sie selten genug eine namentliche Rolle. Die Stars und Sternchen des digital lifestyle sind Jungs – die beiden Steves etwa oder Julian, Eric, Linus, Bill, Clay, Lawrence, Jimmy und die anderen -, sind längst Popikonen und brauchen oft nicht mal einen Nachnamen, um als sie selbst erkannt zu werden. Hand aufs Herz: Wer weiß, wie Arianna Huffington, Sheryl Sandberg oder Marissa Mayer aussehen?

Man muss jedoch gar nicht auf die Geschlechter der Stars – weder der Geschichte noch der Gegenwart – verweisen um zu wissen, dass hier ein Hase im Pfeffer liegt: Das zeigt uns ohnehin unsere Alltagserfahrung. Was allerdings fehlt, ist ein entspannter Zugang zum Rätsel „Gender & Technik“, abseits von nature/nurture-Diskussionen und Girls‘ Day oder Boys‘ Day Aviso. Was obendrein fehlt, ist auch ein entspannter Zugang zu Technik, und zum Rätsel der digitalen Technik im Besonderen.

Wer den öffentlichen Diskurs über Computer, Internet und Web verfolgt, findet dort seit Jahren diesselben stereotypen Reaktionsformen von Verdammung und Euphorie. Das Schlagwort von der Macht des Digitalen ersetzt dabei allzuoft genauere Analysen: Mal sollen uns die Bits und Bytes unwiderbringlich den Verstand austreiben, mal wie im Fall der „Facebook-Revolution“ gesellschaftlichen Wandel herbeizwingen. Mal teilt die Technik Generationen ein (digital natives, immigants, residents, usw.), mal produziert sie einen eigenen Menschentyp („Nerds“), bei dem bis auf weiteres die Annahme gilt, dass er der Natur der digitalen Technik gemäß vorwiegend in männlicher Variante vorhanden ist. Mal wird die Frage gestellt, ob das digitale Gen männlich oder weiblich sei.

Biologische, insbesondere genetische Metaphern sind beliebt in der Beschreibung digitaler Welten – vom „Genom kollektiver Intelligenz“ spricht etwa der US-Forscher Thomas W. Malone; der Medientheoretiker Lev Manovich benutzt den Begriff der „kulturellen DNA“ in seinen Software-Untersuchungen. Hilfreich sind diese Metaphern nur insofern, als sie temporär ablenken können von den übrigen Voreingenommenheiten, mit denen wir uns bei Fragen der Technik belasten – der Sache selbst werden sie jedoch nicht gerecht. Es gibt sicher kein digitales Gen, und schon gar nicht wäre dieses dann männlich oder weiblich.

Spannend ist allerdings die Frage, ob – wenn es denn ein solches Gen gäbe – sich dieser Tage deutlich mehr Menschen ein solches einsetzen lassen wollen würden als vor 25 Jahren. Damals hätte der (damalige) Bill Gates als prototypischer Träger des digitalen Gens gegolten, heute wäre es der (heutige) Steve Jobs. Die sogenannten Nerds sind im Begriff, vom Ruf einer belächelten Randgruppe zum Ansehen einer exzentrischen Avantgarde zu avancieren. Damit sinken nicht nur die technischen, sondern auch die sozialen Hürden, welche bislang auf dem Weg zum digitalen Geekdom im Weg standen – im übrigen nicht nur für Frauen.

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