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Das war die MenschMaschine: ein Bühnenradio-Abend mit teilaufmerksamem Publikum

2. September 2009

Nach geeigneten Kategorisierungen muss man derweil noch suchen: „Ein bunter Abend 2.0“ im Rabenhof-Theater sollte es laut Programmheft gestern abend werden, Ritchie Pettauer versucht es in seiner Manöverkritik mit „Social Media Kabarettabend mit 2 Videowalls, 3 Üblichen Verdächtigen und analoger Interaktivität„, der Alte Knacker diagnostiziert eine verpasste Gelegenheit für „die beste Facebook-Party hierzulande“ und von „Chaos-Abend“ sprachen die Macher hinterher selbst. Konzipiert und regiert wurde der Abend von Matthias Schweger, Andreas Wochenalt und Walter Gröbchen, auf der Bühne präsentiert von den Radiomoderatoren Herr Hermes, Clemens Haipl und Eberhard Forcher

Was meine Vermutungen vom gestrigen Tag angeht, kann man jetzt teilweise bestätigen: Bei MenschMaschine handelte es sich im wesentlichen um eine Nummernrevue, kombiniert mit Talkshoweinlagen und einer Skype-Liveschaltung in die Ukraine zu YouTube Stars „Los Colorados“ – wer übrigens noch nicht von ihnen gehört hat, muss sich dringend folgendes Video ansehen:

Web 2.0 Einsatz an allen Fronten: Eine Twitter-Wall links von den Moderatoren zeigte Live-Tweets aus dem Publikum und von daheim an, auf einer Videowall rechts wurden verschiedene Webvideos (etwa: eine Frau die mit ihren Brüsten Wassermelonen zerschmettert) sowie vorher aufgezeichnete Interviews mit ‚den Menschen auf der Straße‘ präsentiert. Leider sind die Interviews noch nicht online – die waren der Knaller der Show: Eberhard Forcher, der in einem Einkaufszentrum die Rolltreppen hochfährt und Menschen auf der Gegenspur fragt: „Darf ich Sie stupsen?“ (was wohl die deutsche Variante von ‚poking‘ ist), „Darf ich Ihren Hund als Freund hinzufügen?“ oder einfach verbal Status-Meldungen abgibt à la „Ich gehe gleich etwas essen.“ Auf YouTube kann ich die Videos leider noch nicht finden – hoffentlich werden sie bald (auffindbar) nachgereicht).

So ganz zu Hause in der Web 2.0-Welt waren die Bühnenhosts derweil doch nicht: Zweifelsohne waren viele der vorgelesenen Facebook-Nachrichten witzig – was nur bestätigt, dass Social Media permanent Microerkenntnisse generiert, und an diesem Fundus bediente man sich reichlich. Dabei haftete dem Vortrag mitunter ein Vorführ-Gestus an, der irritierte. Etwa als Clemens Haipl die Antworten auf sein Facebook-Update „Wer von euch war heute schon am Klo?“ vorlas (einen Auszug aus den Antworten erspare ich der Leserin). Damit sollte wohl eine Aussage über die Banalität von Online-Interaktion mittels Social Media gemacht werden, tatsächlich lernte man nur, dass Haipl Toilettenwitze für bühnentauglich hält.

Menschmaschine

Beim Umgang mit den Bühnengästen fühlte ich mich temporär in eine Talkshow versetzt, die ich unter gewöhnlichen massenmedialen Umständen wegzappen würde. Die Vorgehensweise: Anhand ihrer Facebook-Profile wurden Personen aus dem Facebook-Freundeskreis der Moderatoren vorgestellt und dann auf dem Bühnensofa sitzend befragt, während im Hintergrund im Social Web gefundene Bilder liefen. Drei Frauen, ein Mann – mit dem Mann assoziiert war angeblich nur ein einziges Bild, das nicht ihn, sondern die Figur Ilse Kling aus der Lindenstraße zeigt, in deren Folge 134 eine Gastrolle hatte. Der zweite Gast – eine „lebenslustige Krankenschwester aus Wien“ – wurde damit konfrontiert, dass Haipl bei ihr ein wenig mehr Social Media Stalking betrieben hatte. Nicht nur wusste er, dass sie auch bei Websingles registriert ist, präsentiert wurden auch Fotos (z.B: sie an einer Art Stripstange zeigend), von denen die Befragte die Name-Tags (die das Bild direkt mit ihrem Profil verknüpfen) auf Facebook entfernt hatte. In Web 2.0 Kreisen wertet man das als zu respektierendes Privacy-Statement – dass dieses für die Gelegenheit, einen in der Tendenz anzügliche Pointe zu machen, übergangen wurde, sagt einiges über das Verhältnis der Gastgeber zum Social Web. Auch die Genderbalance spielte wohl eine Rolle: „Drei Männer in der Regie, drei auf der Bühne“, wie Michaela Amort gestern anmerkte (plus eine Zitherspielerin im rosa Kleid), „und was kommt dann dabei heraus?“ Right.

Zu einem Boomerang kleineren Ausmaßes wurde die starke Repräsentanz von Twitterern im Publikum – wie eine anmerktewarum machts nix mit uns twitteraner – sind ja verschenkte ressource… und fad wirds… #menschmaschine„. Immerhin hatte ein Großteil der Bewerbung des Events grassrootsmäßig im Social Web statt gefunden (und mit Erfolg, denn das Theater war ausverkauft) – die Vorspannung war ja auch bei mir groß gewesen auf die Art der Einbindung, die die Social Media Crowd bekommen würde. Antworten oder Ideen für deren Einsatz auf der Bühne habe ich nun noch nicht gewonnen, die Twitter-Wall war mehr Deko als dramaturgisches Element – zugleich muss man sagen, dass Twitterwalls auch bei Veranstaltungen wie BarCamps selten aktiv einbezogen werden. Was sie in der Regel leisten ist, der Transformation des physischen Raums hin zum vernetzte sozialen Raum eine visuelle Manifestation zu geben. Wie man dies aber konkret einbeziehen kann, ist noch zu sehen. Inhaltlich wurden einige Aspekte gestern zur Kenntnis genommen (etwa stellte Forcher fest, dass das Bühnegeschehen u.a. von mir als sexistisch wahrgenommen wurden), ein Instrumentarium, wie u.U. darauf reagiert werden könnte, ist noch zu entwickeln.

Natürlich sind Twitterer immer sehr kritisch – erst recht wenn es um das Social Web selbst geht, die Sphäre, in der sie sich jetzt schon so gut auskennen, wie der Rest der postindustriellen Gesellschaft in 15 Jahren. Ein Maß an Überkritik (wie Ritchie meint) kann es m.E. dabei nicht wirklich geben, denn eine Kuschel-Twitter- und Blogosphäre würde sich selbst ad absurdum führen (auch wenn manche Firmen, z.B. Jako, versuchen, Bloggern ihre Lust am Nörgeln abzugewöhnen) – die Frage wäre eher, wie man diese Eigenschaft nutzen und einsetzen kann. Möglicherweise, in dem man der Crowd etwas anderes zum sich daran abarbeiten gibt als das unmittelbare Bühnengeschehen selbst – als Twitterer ist man mit der Aufmerksamkeit eh immer nur halb auf der Bühne, und könnte ja nebenbei andere Aufgaben lösen. Eventuell ist genau dies das Feld, in dem Social Media Regisseure tätig werden könnten.

Resümee: Gratulation und Respekt an die Regisseure, dass sie das Wagnis wagten, sowie an die Bühnenpräsentatoren, dass sie sich dieser Form unterwarfen, ohne das Publikum zu beschimpfen (das vereinzelt ungehalten reagierte). Mt Blick auf die gestern gestellte Frage, ob man eher in Richtung Nummernrevue als in Richtung Narrativ gehen sollte, neige ich dazu zu glauben, dass Nummernrevue nach wie vor das Naheliegendere ist: bits and pieces, bite-size, das ist ja das Charakteristikum der Inhalt im Social Web. Spannend wäre es, wenn die Präsentation auf der Bühne über den Attraktionswert des Vorgeführten hinausginge – sonst ist es nicht mehr als YouTube-Kino (ein Projekt, das die Gruppe Internetforschung zukünftig auch noch zu optimieren gedenkt). Schwierig, besonders schwierig ist es, geeignete Impresarios zu finden – Radiomoderatoren sind nicht prinzipiell ungeeignet, aber die Geek Power muss auch irgendwie auf die Bühne. Für Geeks und Webnerds war das Stück gestern nicht immer geeignet – die wissen eh, was es für Perlen im Social Web zu finden gibt, und die wollen nicht 15 Euro zahlen, um diese vorgeführt zu bekommen. Für die andern, mutmaße ich, bat es doch mehrfach Anlasse für einen Schenkelklopfer und es kann auch keiner behaupten, dass gestern nicht gelacht worden wäre. Wie die Bühne mediengerecht mit dem Social Web umgehen kann, muss sich in zukünftigen Darbietungen weisen.

pretty in pink,by Nicole Kolisch

Fotocredits: MenschMaschine.at (ganz oben), Nicole Kolisch (Pretty in Pink, im Vorraum des Theaters, weil die Farbe so schön ist)

9 Kommentare leave one →
  1. 2. September 2009 12:59 pm

    1) Danke für die Review!!
    2) Der „Antworten” Links ist hier gut versteckt! 😉
    3) Privacy-Statement hin oder her, sind Fotos online und auf irgendeine Art zuordenbar, werden sie auch verwendet. Wundern darf man sich hier nicht.

  2. 2. September 2009 1:14 pm

    Ja, was einmal in’s Digitale freigelassen… im konkreten Fall stellt sich zusätzlich die Frage, wie man als Spielleiter sich zu den Teilnehmenden verhält. Im TV gibt es zweifelsohne dramatischeres Verhalten von Spielleitern zu beobachten.

  3. 2. September 2009 2:34 pm

    Danke für die ausführliche Berichterstattung.
    Noch eine kleine Anmerkung. Die Twitterwall am Tourismuscamp in Eichstätt wurde in die Diskussionen mit einbezogen. Tweets wurden vorgelesen und vom Vortragenden beantwortet. Das ging sehr gut, weil es einen livestream mit Tonübertragung per Mikro gab. Ist natürlich technisch sehr aufwendig. Ist aber sehr interessant, wenn Abwesende mitdiskutieren können

  4. 2. September 2009 8:32 pm

    ich finde diese produktion hat sich deine ausführliche berichterstattung nicht verdient. sie war viel zu lang, über lange strecken langweilig, niveaulos und mittel unterhaltsam. von den jungs hätte ich mir mehr erwartet.

  5. 2. September 2009 9:03 pm

    ach, ich hab mich schon mit banaleren dingen beschäftigt – für mich war die überlegung entscheidend, wie so etwas auf der bühne funktionieren kann, und das konkretisiert sich am besten (für mich) im geschriebenen wort. bühnengeschehen, das interaktiviät voraussetzt und nicht darauf beschränkt ist, vereinzelte nach vorne zu holen. evtl. passt das auch gar nicht zusammen, oder funktioniert nur mit kaskadierenden rollen.

  6. axel77 permalink
    2. September 2009 11:20 pm

    Ich hätte mir einen Live Webstream gewünscht. Aber kann schon verstehen, dass man fürchtet so keine Karten mehr verkaufen zu können…

  7. axel77 permalink
    3. September 2009 9:49 am

    Ich finde Mikroerkenntnisse übrigens ein tolles Wort! *mir gefällt*

  8. 13. April 2010 10:41 pm

    Sorry für die späte Antwort, ich habe erst heute die Verlinkung entdeckt. Danke für den Text, sehr schöne Zusammenfassung!

  9. 14. April 2010 10:36 am

    Späte Kommentare, die etwas aus der Versenkung holen, erfreuen besonders!

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