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Zehn anthropologische Kränkungen

22. April 2008

Nikolaus KopernikusDer historische Mensch nahm, wie wir im Geschichtsunterricht gelernt haben, die Behauptung, nach dem Ebenbild Gottes geschaffen worden zu sein noch ziemlich wörtlich. Gottkönige waren Abkömmlinge von Gott, dem Herrn. Da man davon ausging, dass ein Abkömmling von Gott kaum auf irgendeinem Funzelplaneten eine marginalisierte Existenz führen würde, konnte auch die Erde nur das Zentrum des Universums sein. Das war allgemeingültige Wahrheit, bis Kopernikus darlegte, dass sich die Erde um die Sonne dreht. Das Selbstbild der Menschen war nun empfindlich gekränkt.

Nikolaus Kopernikus

Eine solche Kränkung nennt man anthropologische Kränkung, die soeben angeführte trägt auch den Beinamen kopernikanische Kränkung. Gerade lese ich auf Empfehlung von Andreas Leo Findeisen (von Tranforming Freedom) die Habilitationsschrift von Heiner Mühlmann: Die Natur der Kulturen: Entwurf einer kulturgenetischen Theorie – über das Buch selbst kann ich aktuell noch nicht viel sagen, kurz berichten möchte ich über die Diskussion von „zehn oder zwölf Kränkungen“ welche „die Anthropologen bis jetzt zusammengezählt“ haben.

Ich war bisher in meiner eigenen, nicht programmatisch betriebenen Zählung nur auf drei gekommen: Kopernikus, Freud, Denkmaschinen (=Computer). Hier also die Zählung von Kränkungen nach Mühlmann:

  1. Kopernikus: Die Erde, die Heimat von Gottes Ebenbild, ist nicht das Zentrum des Universums.
  2. Darwin: Der Mensch hat keine Sonderstellung unter den Lebewesen, sondern geht auf die Primaten, d.h. den Affen zurück.
  3. Geologie: Die Erde ist viel älter als in den Schöpfungsberichten angenommen.
  4. Freud: Freud schuf ein neues Bild von der menschlichen Seele nach den Regeln der Psychoanalyse. /me adds: Nicht einmal dort sind wir noch Herr im Haus – der Untermieter ES poltert und das Destillat der Gesellschaftregeln ÜBER-ICH rückt uns auch auf die Pelle.
  5. Physik – Kernspaltung: Mit der Kernspaltung trat die Horrorvorstellung von der Zerstörung der Menschheit durch eine Waffe in unsre Welt. /me adds: Das ist nebenbei auch der Aspekt, an dem sich der neulich erwähnte Günter Anders abarbeitete.
  6. Physik – Quantenmechanik: Mit der Quantenmechanik entzog sich die Realität im Bereich des ganz Kleinen unserem Vorstellungsvermögen.
  7. Ökologie: Die ökologische Perspektive zeigte, dass die Erde nicht unbegrenzt für die Beschaffung von Rohstoffen und Beseitigung von Abfällen zur Verfügung steht. /me adds: So hat es einmal ein Ende mit der Segensversprechung der Botschaft „Macht euch die Erde untertan“.
  8. Künstliche Intelligenz: KI lässt vermuten, dass die Maschinen denken können und, wenn sie sich einmal frei auf der Erde bewegen, vielleicht auch Gefühle haben werden.
  9. Genetik: Genetik bereitete besonders jenen Menschen, die sich um soziale Gerechtigkeit bemühen, die große Enttäuschung, dass die Menschen aufgrund biologischer Vererbung ungleich sind.
  10. „Philosophische Genetik“: Hier bezieht sich Mühlmann auf die so genannten genetischen Algorhitmen, „Algorithmen, die auch nicht analytisch lösbare Probleme behandeln können, indem sie wiederholt verschiedene „Lösungsvorschläge“ generieren, dabei verändern sowie miteinander kombinieren und einer Auslese unterziehen, so dass diese Lösungsvorschläge den gestellten Anforderungen immer besser entsprechen.“ (Wikipedia)

Mensch sein ist ganz schön hart, was? Und auf den Frieden stolz sein, das scheint die Menschheit ja schon länger aufgegeben zu haben: siehe Darfur, Irak, ehemaliges Jugoslawien. Genau darum wird es auch gehen in Mühlmanns Buch, in dem er laut Vorwort von Bazon Brock behauptet, dass „alle Kulturen, aber insbesondere unsere westliche, nur erfolgreich sind, insoweit sie Kriegerkulturen sind.“ Updates gibt es, sobald ich mit der Lektüre vorangeschritten bin.

5 Kommentare leave one →
  1. Uli permalink
    23. April 2008 5:04 am

    Danke für den neuen Blog, speziell dieser Eintrag war sehr interessant!

    Uli

  2. 23. April 2008 5:36 am

    Gern geschehen – ja, bei den anthropologsichen Kränkungen, da kommen die natur- und geisteswissenschaftlicen Agenden zusammen. Und ich schau jetzt mal, ob’s Bilder aus Berlin gibt:-)

  3. tarvoc permalink
    18. Juni 2013 1:32 pm

    In der Liste fehlt noch Marx. Der Mensch und sein Bewusstsein nicht als abstraktes Individuum, sondern als Ensemble gesellschaftlicher Verhältnisse.

  4. 9. September 2013 9:34 pm

    true:)

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